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Schubert hat Zugkraft

"Endstation Winterreise" - Zwischenakt - Premiere in Bielefeld 2005

Schubert hat Zugkraft

300 Menschen erlebten eine „Winterreise“ der besonderen Art

Menschen stehen auf einem Bahnsteig und warten, dass was passiert. Zwei Züge sollen sie an einen geheimen Ort bringen, wo Schubert´s Liederzyklus „Die Winterreise“ geboten wird. Die Berliner Initiative „Zwischenakt“ und die Bielefelder Verkehrsbetriebe „moBiel“ haben den Ausflug ins Ungewisse ausgeheckt.

300 Menschen werden die Reise an diesem Abend antreten. Die meisten von ihnen würden wohl kaum ein konventionelles klassisches Konzert besuchen. Mitgebrachte Piccolos werden geköpft, denn in den Waggons kann einem mulmig werden. De Fenster sind abgeklebt, die Lampen mit blauem Stoff umhüllt. Gespenstisch rumpelt die Bahn oberirdisch durch die Nacht. Geübte Bahnfahrer, die das überschaubare Bielefelder Stadtbahnnetz kennen, versuchen Strecke und Ziel zu erfühlen. Sie sind nah dran. Endstation ist eine Werkstatthalle in Sieker. Der Geruch von Öl und Metall hängt in der warmen Luft. Reparaturgondeln schweben unter der Decke, Traglast 125 Kilo.

Im Trubel fällt kaum auf, dass in einem abgestellten Waggon eine junge Frau im Sommerkleid sitzt. Es ist die Schauspielerin Silvina Buchbauer. Sie spielt eine Reisende, die ihren Job verloren hat und mit geklautem Pelz ins verheißungsvolle Berlin aufbricht, um dort ein „Glanz“ zu werden.

Es sind Texte, die den Rahmen um Schuberts „Winterreise“ ziehen und sie in der Mitte spektakulär unterbrechen: Die Schauspielerin zieht in einer Reparaturgondel über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Sie ist Glanz geworden an der Seite eines reichen Mannes. Aber, man ahnt es ein Happyend wird´s nicht geben. Sie hockt zum Schluss wieder auf dem Koffer auf dem Bahnhof, an dem sie einst angekommen war. Unter (echten) Tränen kommt sie zu der Erkenntnis, dass es vielleicht gar nicht so wichtig ist, Glanz zu werden. Eine beeindruckende schauspielerische Leistung von Silvina Buchbauer.

Auch Schuberts Wanderer erzählt in 24 Liedern von den Schmerzen und Verlusten des Weges, der da Leben heißt. Bariton Burkhard v. Puttkamer und András Vermesy am Klavier haben in der ungewöhnlichen Kulisse ihren klassischen Auftritt, inklusive der üblichen Kleidung. Sie thronen auf zwei schwarzen Podien, unmittelbar hinter ihnen ein Feuerlöscher, eine volle Mülltonne und das Plakat „Ist ihre Klimaanlage fit?“ […]

In der satten Akustik kommt Burkhard v. Puttkamers angenehme und ebenmäßige Stimme perfekt zur Geltung, Vermesy begleitet sensibel. Der Sänger hat den Liederzyklus geschmackvoll im Griff. […] Das Publikum war zufrieden, bedankte sich mit lang anhaltendem Applaus bei den Künstlern und den vielen Helfern hinter den Kulissen für ein Erlebniskonzert der etwas anderen Art.

Neue Westfälische 31.01.2005

 

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