„Endstation Winterreise“ – Premiere in Bielefeld, 2005
Ein Zwischenakt in Kooperation mit
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Mit: Silvina Buchbauer, Texte – Burkhard v. Puttkamer, Bariton – András Vermesy, Klavier und dem Zwischenakt – Team
Großer Bahnhof für die Orientierungslosen
Ob ein Liederabend mit Schuberts „Winterreise“ auf dem Programm, aufgeführt in einem traditionellen Konzertrahmen wohl auch 300 Zuhörer anlocken würde? Ohne Interpret von Rang und Namen wohl kaum. Eine pfiffige Idee, ein Event muss her um Menschen für Schuberts „Winterreisenden“ zu begeistern, der sich aus enttäuschter Liebe von der Welt abwendet und orientierungslos, verzweifelt, tieftraurig und dem Wahnsinn nahe umherirrt. So die Überlegungen der Berliner Künstlergruppe „Zwischenakt“, die im Bielefelder Verkehrsunternehmen moBiel einen aufgeschlossenen Kooperationspartner für ein nicht alltägliches Konzerterlebnis fand.
Wer in der unterirdischen Stadtbahnhaltestelle „Hauptbahnhof“ die fensterverklebten Stadtbahnwagen bestieg, ließ sich immerhin auf das Abenteuer ein, nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Und überhaupt, ein bisschen Orientierungslosigkeit erhöht das Gespür für Schubert´sche Stimmungen.
Am Ankunftsort zieht der Geruch von Öl und Schmiere in die Nase. Aber die Wartungshalle auf dem Betriebshof der Stadtwerke in Sieker ist nicht nur bestuhlt und geheizt, sondern auch akustisch überraschend gut geeignet. Zunächst aber zieht eine leicht verstörte Frau (Silvina Buchbauer) die Aufmerksamkeit auf sich. Arbeitslos geworden ist sie aus ihrem Leben gepurzelt und sucht nun ihren „Glanz“, wie sie immerfort sagt, in Berlin, einer Stadt, die sich „Wie eine teure Steppdecke anfühlt“.
Inzwischen ist auch unser Wanderer aus dem Nest gefallen. „Fremd bin ich eingezogen- fremd zieh ich wieder aus“ – Burkhard von Puttkamer setzt seine harmonisch timbrierte Baritonstimme mit diskreter Ausdruckskraft ein. Tonschön und mit gewollt zurückhaltender Dramatik geht er´s an, illustrierend und dezent begleitet von András Vermesy am Klavier.
„Einsamkeit“ ist soeben verklungen, da setzen sich zwei unter der Decke baumelnde Wartungsgondeln in Bewegung und rauschen langsam über die Köpfe des Publikums hinweg. Die Frau ist „aufgestiegen“, hat einen älteren Herrn mit Geld gefunden … – am Ende, nachdem auch der zweite Teil des Liederzyklus verhalten ausgeklungen ist, hat sie ihre Meinung plötzlich geändert. „Auf Glanz kommt es gar nicht so furchtbar an. Aber Liebe ist so ungeheuer viel, nicht?“ Wer wollte da widersprechen?
Eine Reise mit unbekanntem Ziel, eine Frau, die nach Orientierung sucht und ein Wanderer, der sich selbst verloren hat. Ein bisschen hat alles irgendwie irgendwas gemeinsam. Genug jedenfalls, um 300 begeistert applaudierenden Menschen einen schönen Abend zu bereiten.
Westfalenblatt, 31.1.2005
Schubert hat Zugkraft
300 Menschen erlebten eine „Winterreise“ der besonderen Art
Menschen stehen auf einem Bahnsteig und warten, dass was passiert. Zwei Züge sollen sie an einen geheimen Ort bringen, wo Schubert´s Liederzyklus „Die Winterreise“ geboten wird. Die Berliner Initiative „Zwischenakt“ und die Bielefelder Verkehrsbetriebe „moBiel“ haben den Ausflug ins Ungewisse ausgeheckt.
300 Menschen werden die Reise an diesem Abend antreten. Die meisten von ihnen würden wohl kaum ein konventionelles klassisches Konzert besuchen. Mitgebrachte Piccolos werden geköpft, denn in den Waggons kann einem mulmig werden. Die Fenster sind abgeklebt, die Lampen mit blauem Stoff umhüllt. Gespenstisch rumpelt die Bahn oberirdisch durch die Nacht. Geübte Bahnfahrer, die das überschaubare Bielefelder Stadtbahnnetz kennen, versuchen Strecke und Ziel zu erfühlen. Sie sind nah dran. Endstation ist eine Werkstatthalle in Sieker. Der Geruch von Öl und Metall hängt in der warmen Luft. Reparaturgondeln schweben unter der Decke, Traglast 125 Kilo.
Im Trubel fällt kaum auf, dass in einem abgestellten Waggon eine junge Frau im Sommerkleid sitzt. Es ist die Schauspielerin Silvina Buchbauer. Sie spielt eine Reisende, die ihren Job verloren hat und mit geklautem Pelz ins verheißungsvolle Berlin aufbricht, um dort ein „Glanz“ zu werden.
Es sind Texte, die den Rahmen um Schuberts „Winterreise“ ziehen und sie in der Mitte spektakulär unterbrechen: Die Schauspielerin zieht in einer Reparaturgondel über die Köpfe der Zuschauer hinweg. Sie ist Glanz geworden an der Seite eines reichen Mannes. Aber, man ahnt es ein Happyend wird´s nicht geben. Sie hockt zum Schluss wieder auf dem Koffer auf dem Bahnhof, an dem sie einst angekommen war. Unter (echten) Tränen kommt sie zu der Erkenntnis, dass es vielleicht gar nicht so wichtig ist, Glanz zu werden. Eine beeindruckende schauspielerische Leistung von Silvina Buchbauer.
Auch Schuberts Wanderer erzählt in 24 Liedern von den Schmerzen und Verlusten des Weges, der da Leben heißt. Bariton Burkhard v. Puttkamer und András Vermesy am Klavier haben in der ungewöhnlichen Kulisse ihren klassischen Auftritt, inklusive der üblichen Kleidung. Sie thronen auf zwei schwarzen Podien, unmittelbar hinter ihnen ein Feuerlöscher, eine volle Mülltonne und das Plakat „Ist ihre Klimaanlage fit?“ […]
In der satten Akustik kommt Burkhard v. Puttkamers angenehme und ebenmäßige Stimme perfekt zur Geltung, Vermesy begleitet sensibel. Der Sänger hat den Liederzyklus geschmackvoll im Griff. […] Das Publikum war zufrieden, bedankte sich mit lang anhaltendem Applaus bei den Künstlern und den vielen Helfern hinter den Kulissen für ein Erlebniskonzert der etwas anderen Art.
Neue Westfälische 31.1.2005
„Endstation Winterreise“ – Bremen, 2006
Ein Zwischenakt in Kooperation mit
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Mit: Silvina Buchbauer, Texte – Burkhard v. Puttkamer, Bariton – András Vermesy, Klavier und dem Zwischenakt – Team
„Endstation Winterreise“ zog 800 Straßenbahngäste an ´
Etwas verwundert mag mancher Bremer am Samstagabend geschaut haben. Vier Straßenbahnen, scheinbar ohne Ziel, die Fenster dicht verhüllt, alle Haltestellen auslassend, rauschten durch die Stadt. Die Fahrgäste der Geisterbahnen waren auch nicht viel schlauer. Sie wussten nur, was sie am Ende erwarten würde. Wohin? Auf diese Überraschung musste man sich einlassen, wenn man bei „Endstation Winterreise“ dabei sein wollte. Und das wollten rund 800 Personen.
Die Idee: Die Straßenbahn ist ein Ort der Reise im Alltag mit vielen denkbaren Endstationen; Schuberts Liederzyklus ist ein musikalisches Unterwegs-Sein im Leben mit bald metaphysischem Ende. […]Wahrscheinlich hätte die Orts-Überraschung auch ohne Hintersinn für genügend Entzücken gesorgt. Die Lokalität erwies sich tatsächlich als spannend. Die Hundertschaften Schubert-Freunde landeten in einer […] . In dasselbe kalte Licht gehüllt wie bereits die Straßenbahnen, stellte sich dort schnell eine Atmosphäre zwischen Frost und Befremden ein.
Auf einem schlichten Podest stand in kargem Licht einsam erhöht Burkhard von Puttkamer (Bariton). Mit seinem Begleiter András Vermesy am Flügel hob er zu Schuberts melancholischer Kunstlied – Sammlung an – eine Mammutaufgabe für jeden Vokalisten.
Der Spagat zwischen frühromantischer Formästhetik und emotionaler Extrem-Aufladung gelang von Puttkamer und Vermesy in ergreifender Intensität. […] Als moderne Erweiterung des Stoffes waren an drei Stellen Texte eingestreut. Die Darstellerin Silvia Buchbauer spielte sie und bezog die Straßenbahn an dieser Stelle mit ein: Als bewegte Kulisse und Sinnbild der Urbanität. Nach zwei Stunden war die „Winterreise“ an ihrem ungewissen Ende. Der Beifall war riesig.“
Kreiszeitung Bremen, 23.1.2006
Wo, um Himmels Willen, ist Günter?
Da hatte die Gattin ihm in der vollen Konzertbahn extra einen Sitzplatz reserviert und nun das! Derweil kursieren Mutmaßungen unter den Mitfahrern, dass Günter inzwischen mit einer anderen Dame stiften gegangen sein könnte. Wäre ja auch kein Wunder, bei diesem Getümmel. Denn die Konzertgäste in spe drängeln sich in die von innen abgeklebten Straßenbahnen Richtung „Endstation Winterreise“, als würde es etwas umsonst geben. Dieser Zug fährt nicht nach nirgendwo, sondern an einen geheimen Ort, an dem Schuberts „Winterreise“ aufgeführt werden soll. Unterwegs amüsiert man sich prächtig, es wird spekuliert, wo’s wohl lang gehen mag. In Zeiten, in denen es leider immer schwieriger wird, das Publikum für die hohe Kunst des Liedgesangs zu begeistern, gewiss eine originelle Idee.
Burkhard v. Puttkamer verfügt über eine hell timbrierte, lyrische Stimme, mit der er durchaus ansprechend den Liederzyklus interpretiert. Prononciert und aussagekräftig ist die die subtile Liedbegleitung durch den vortrefflichen Pianisten András Vermesy. Silvina Buchbauer gibt das leicht überspannt kichernde, aus der Provinz per Fahrrad zugereiste Berliner Frollein, das sich partout in den Kopf gesetzt hat, im gemopsten Pelz ein „Glanz“ zu werden. Der zeitweilige Aufstieg in die „Bel Etage“ gelingt dem pragmatischen Dirnchen dann auch, indem sie sich an einen vermögenden, verheirateten „sugar daddy“ verkauft, um am Ende doch nur wieder am Bahnhof Friedrichstraße zu stranden. Wohlwollender Beifall für alle Akteure.
Weserkurier / Bremer Nachrichten 23.1. 2006
„Endstation Winterreise“ – Nürnberg, 2006
Ein Zwischenakt in Kooperation mit
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Mit: Silvina Buchbauer, Texte – Klaus Feßmann, Klangstein – Burkhard v. Puttkamer, Bariton – Philip Mayers, Klavier und dem Zwischenakt – Team
Ein Gesamtkunstwerk, das Gänsehaut macht
„Endstation Winterreise“ in der Schwerpunktwerkstatt Süd der VAG: 1000 Zuschauer für besonderes Event
Gut 1000 Zuschauer bei einem Liederabend: Von solchen Zahlen können Konzertveranstalter normalerweise nur träumen. Bei der „Endstation Winterreise“, die am Wochenende bei der VAG über die Bühne ging, wurde die Vision wahrhaft zauberhafte Wirklichkeit.
Es wäre leicht, das Großereignis als hohles Produkt einer sich selbst allmählich in Frage stellenden Eventkultur abzutun: Da starten zu früher Abendstunde sechs Straßenbahnzüge mit blickdicht verklebten Fenstern am Plärrer, um eine Schar abenteuerlustiger Klassikfans und neugieriger Musikfreunde zu einem sorgsam geheim gehaltenen Ort im Stadtgebiet zu bringen, wo Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ in Verbindung mit einer Schauspiel-Performance erklingen soll.
Was nach dem Plan gewiefter Werbestrategen riecht, entpuppt sich in der Realität als konzeptuell durchaus gelungenes Gesamtkunstwerk, von dem sich auch Klassik-Puristen nicht mit Grausen abwenden dürften.
Die viertelstündige Fahrt im mystisch bläulich schimmernden Halbdunkel eines quasi fensterlosen Zuges schafft es auch ohne das erhoffte Schneewetter, auf das Besondere einzustimmen, die Sinne für das Ungewöhnliche zu schärfen.
Denn in der VAG-Schwerpunktwerkstatt Süd, deren Haupthalle zum riesigen Konzertsaal inklusive Straßenbahn-Spalier umgestaltet wurde, geht es nicht einfach darum, eine Sternstunde des Liedgesanges zu zelebrieren.
Hier sollen dickere Bretter gebohrt werden, gilt es doch, die menschliche Einsamkeit an sich zu thematisieren und so den Nerv dessen zu treffen, was die heute Lebenden bewegt. Schuberts unglücklich Liebendem, dessen Weg unaufhaltsam in die Katastrophe führt, wird die Geschichte eines Mädchens gegenüber gestellt, das mit hochfliegenden Plänen und großen Erwartungen ins Berlin der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts kommt – und dessen Hoffnungen ebenso bitter enttäuscht werden, wie jene von Schuberts verschmähtem Liebhaber.
Wenn Klaus Feßmann zum Auftakt seinem Klangstein mystisches Schwirren entlockt, öffnet er damit die Türe zu einem surrealen Limbus, in dem gequälte Seelen nach einem Ausgang suchen. Das technoid kühle Ambiente der Straßenbahnwerkstatt verstärkt die Illusion der Ausweglosigkeit und hilft, die Affekte zu abstrahieren.
Schrille Landpomeranze
Silvina Buchbauer verkörpert ihr „kunstseidenes Mädchen“ aus einem Roman von Irmgard Keun (erschienen 1932) als schrille Landpomeranze. Sie will in der Metropole „ein Glanz“ werden und endet als die abgelegte Geliebte eines verheirateten Mannes. Bei dem Bariton Burkhard von Puttkamer und seinem Klavierpartner Philip Mayers schleicht sich die Apokalypse auf leiseren Sohlen heran, steigern sich Verzweiflung und Resignation subtil, manchmal sogar zu blass.
Der „Lindenbaum“ dürfte katastrophischer sein, das „Irrlicht“ schillernder und die „Wasserflut“ vielleicht noch eine Spur todessehnsüchtiger. Gegen Ende freilich werden auch Sänger und Pianist von jenem unentrinnbaren Emotionssog gefangen, den Raum und Situation ausüben und die „Winterreise“ steigert sich zum Gänsehaut machenden Zeitlupen-Tanz ins endgültige Nichts. Erschütternd.
HANS VON DRAMINSKI
Nürnberger Nachrichten 27.11.2006
„Endstation Frühlingstraum“ – Nürnberg, 2012