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Großer Bahnhof für die Orientierungslosen

Endstation Winterreise - Premiere in Bielefeld

Großer Bahnhof für die Orientierungslosen

Ob ein Liederabend mit Schuberts „Winterreise“ auf dem Programm, aufgeführt in einem traditionellen Konzertrahmen wohl auch 300 Zuhörer anlocken würde? Ohne Interpret von Rang und Namen wohl kaum. Eine pfiffige Idee, ein Event muss her um Menschen für Schuberts „Winterreisenden“ zu begeistern, der sich aus enttäuschter Liebe von der Welt abwendet und orientierungslos, verzweifelt, tieftraurig und dem Wahnsinn nahe umherirrt. So die Überlegungen der Berliner Künstlergruppe „Zwischenakt“, die im Bielefelder Verkehrsunternehmen moBiel einen aufgeschlossenen Kooperationspartner für ein nicht alltägliches Konzerterlebnis fand.

Wer in der unterirdischen Stadtbahnhaltestelle „Hauptbahnhof“ die fensterverklebten Stadtbahnwagen bestieg, ließ sich immerhin auf das Abenteuer ein, nicht zu wissen, wohin die Reise geht. Und überhaupt, ein bisschen Orientierungslosigkeit erhöht das Gespür für Schubert´sche Stimmungen.

Am Ankunftsort zieht der Geruch von Öl und Schmiere in die Nase. Aber die Wartungshalle auf dem Betriebshof der Stadtwerke in Sieker ist nicht nur bestuhlt und geheizt, sondern auch akustisch überraschend gut geeignet. Zunächst aber zieht eine leicht verstörte Frau (Silvina Buchbauer) die Aufmerksamkeit auf sich. Arbeitslos geworden ist sie aus ihrem Leben gepurzelt und sucht nun ihren „Glanz“, wie sie immerfort sagt, in Berlin, einer Stadt, die sich „Wie eine teure Steppdecke anfühlt“.

Inzwischen ist auch unser Wanderer aus dem Nest gefallen. „Fremd bin ich eingezogen- fremd zieh ich wieder aus“ – Burkhard von Puttkamer setzt seine harmonisch timbrierte Baritonstimme mit diskreter Ausdruckskraft ein. Tonschön und mit gewollt zurückhaltender Dramatik geht er´s an, illustrierend und dezent begleitet von András Vermesy am Klavier.

„Einsamkeit“ ist soeben verklungen, da setzen sich zwei unter der Decke baumelnde Wartungsgondeln in Bewegung und rauschen langsam über die Köpfe des Publikums hinweg. Die Frau ist „aufgestiegen“, hat einen älteren Herrn mit Geld gefunden … – am Ende, nachdem auch der zweite Teil des Liederzyklus verhalten ausgeklungen ist, hat sie ihre Meinung plötzlich geändert. „Auf Glanz kommt es gar nicht so furchtbar an. Aber Liebe ist so ungeheuer viel, nicht?“ Wer wollte da widersprechen?

Eine reise mit unbekanntem Ziel, eine Frau, die nach Orientierung sucht und ein Wanderer, der sich selbst verloren hat. Ein bisschen hat alles irgendwie irgendwas gemeinsam. Genug jedenfalls, um 300 begeistert applaudierenden Menschen einen schönen Abend zu bereiten.

                                                                                           Westfalenblatt 31.01.2005

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